Rollenbilder in Tschick – Ein Expertinnen-Interview

In diesem Video trifft Nora die Musikerin Dr. Julie Miess, um sie zu den Mädchen- und Jungsrollenbildern in „Tschick“ zu befragen.

Julie Miess ist Musikerin, Buchautorin und hat Literaturwissenschaften studiert. Ihr Studienschwerpunkt lag auf Gender Studies. Diese Wissenschaft befasst sich mit der Bedeutung von Geschlechterrollen in Kunst, Film, Literatur, Politik, Wissenschaft – kurz gesagt: innerhalb der ganzen Gesellschaft.

In der Gender Studies wird zwischen dem biologischen Geschlecht (auf Englisch: sex) und dem sozialen Geschlecht (auf Englisch: gender) unterschieden. Das Gender ist die gesellschaftlich geprägte Geschlechterrolle und besteht in der Regel aus Stereotypen (Blau vs. Rosa, Puppen vs. Autos, Nestbau vs. Abenteuer bestehen etc.).

Nora fragt Julie zunächst, wie sie das Geschlechterbild im Roman bewertet.

Julie findet Maik und Tschick super, weil sie nicht dem Jungsklischee entsprechen. Sie sind keine typischen Helden: stark, selbstbewusst und ohne Zweifel.

Stimmt das? Wie würdest du Maik und Tschick beschreiben?
Aktiv? Aggressiv? Pragmatisch? Emotional? Sanftmütig? Berechnend? Sozial?

Da Julie zu Horrorfilmen geforscht hat, fragt Nora, welche Rollenbilder in diesen Filmen typisch sind.

Julie antwortet, dass Mädchen und Frauen in diesen Filmen meist die passiven Opfer sind: Die Jungfrau in Nöten. Aber nicht nur! Eine amerikanische Forscherin (Carol Clover) hat in den Filmen der 1980er das Phänomen des „Final Girls“ entdeckt. Die junge Frau, die sich vom Opfer zur aktiven Heldin entwickelt und das Monster/den Killer im Showdown zur Strecke bringt.

Interessanterweise sind es vor allem Jungs, die sich mit dem Final Girl identifizieren.

Nora fragt Julie nach typischen Rollenbildern in der Literatur.

Julie erwähnt als Beispiel die typische Opferrolle der „Damsel in Distress“. Aber es gibt auch aktive Frauen, z. B. die „Femme fatale“. Deren Macht besteht aber in der Regel nur darin, dass sie attraktiv sind. In Gothic-Romanen, also der Schauerliteratur des 18. Jahrhunderts, taucht dieser Typus zum Beispiel als Vampirin auf.

Erwähnenswert ist für Julie das „Manic Pixie Dream Girl“ (übersetzt etwa: Verrücktes Feen-Traummädchen). Auf den ersten Blick scheint dieses Mädchen frech und mutig. Sie ist eine Figur, mit der sich Zuschauerinnen gerne identifizieren. Bei genauerem Hinsehen jedoch existiert dieses verrückte Feen-Traummädchen nur in Bezug auf einen Jungscharakter: Sie ist dazu da, den Helden zu inspirieren.

Julie fragt, wie es sich denn bei Isa verhält. Ist Isa das Manic Pixie Dream Girl für Maik?

Nora meint, dass dies ein naheliegender Gedanke ist. Jedoch ist Isa auch auf ihrer eigenen Reise und besitzt genügend Persönlichkeit, um sich gegen Maik und Tschick zu behaupten.

Wie würdest du Isa beschreiben?
Vernünftig? Einfühlsam? Pragmatisch? Emotional? Zurückhaltend? Berechnend? Sanftmütig?

Julie fragt Nora, wie es denn wäre, wenn sie gemeinsam auf eine Reise mit dem Lada aufbrechen würden. Gäbe es einen Unterschied zu den Jungs Maik und Tschick?

Nora bejaht dies. Denn allein die Motivation für eine solche Reise würde bei Mädchen anders ausfallen. Maik und Tschick wollen cool sein und einfach etwas erleben. Nora glaubt, dass Mädchen aus anderen Gründen von zu Hause abhauen würden.

Auch würden sich Mädchen anders vorbereiten. Sie würden sich der Gefahren bewusst sein und zum Beispiel an Pfefferspray denken.

Aber sonst würde es wahrscheinlich keine Unterschiede geben. Vermutlich würden Mädchen mit vierzehn Jahren auch so dumm sein, eine eingefrorene Pizza mitzunehmen …

Was würdest du auf eine Reise in die Walachei mitnehmen?